Happy Birthday, Bismarckstraße!

Am 1. April wird die Bismarckstraße 103 Jahre alt. Anlässlich der Feierlichkeiten zum 100. Geburtstag von Otto von Bismarck wurde die damalige „Pleicherglacisstraße“ 1915 in „Bismarckstraße“ umbenannt. Mit etlichen herrschaftlichen Prachthäusern, die den Krieg überlebten, gibt sie noch heute einen Eindruck von der Dynamik der Würzburger Stadtentwicklung beim Übergang vom 19. zum 20. Jahrhundert.

 Seit der vollständigen Einebnung der Mauer- und Glacisanlagen im Jahr 1880 konnte Würzburg endlich über die enge Altstadt hinauswachsen. Und so entstand jenseits des neu angelegten Ringparks zwischen Veitshöchheimer Straße und dem 1864 eingeweihten Bahnhof eines der besten Wohngebiete Würzburgs, in dem Universitätsprofessoren, höhere Militärs und Großunternehmer ihren repräsentativen Wohnsitz fanden. Die Wohnungen waren großzügig mit bis zu neun Zimmern und moderner Sanitärtechnik ausgestattet, während die einseitige Straßenbebauung und Südausrichtung der Häuser mit Erkern, Dachterrassen und umgebenden Gärten Raum für „Récréation“ und Ausblick boten. Dem Zeitgeschmack entsprechend – der Historismus lässt grüßen! – zeigten die Häuser, leicht zurückgesetzt und gesichert hinter Eisengusszäunen, zur Straße hin Status und Wohlstand, während in den Hinterhäusern teilweise Gewerberäume und auch Lagerhallen zu finden waren. Die dunkleren Dachetagen waren dem Dienstpersonal vorbehalten, welche das wohlhabende Bürgertum für Haushalt, Küche und Kutsche zahlreich benötigte.

Die Bismarckstraße, anfangs des 20. Jahrhunderts durchwegs vornehm, zeigte damals eine soziale Gliederung, die sich auch architektonisch Ausdruck verschaffte. So wurden die Häuser von der Nummer 1 an der Veitshöchheimer Straße bis zum Bahnpostamt „immer herrschaftlicher“, wie die Journalistin Margret Boveri, die in der Nummer 8 aufwuchs, in ihren Memoiren zu berichten wusste. Die direkt an die weniger noble Rotkreuzstraße angrenzenden Häuser Nummer 4 bis 8 – sie stehen heute noch – sind vierstöckig in Reihe gebaut und an ihrer Außenfassade mit weniger Pomp und Stuck verziert als die in Richtung des Bahnhofs folgenden Privatvillen. In der Nähe der naturwissenschaftlichen Institute am Röntgenring wohnten Professoren und Privatdozenten, Offiziere, Juristen und Ärzte. „Wenn man gesellschaftlich auch nicht miteinander verkehrte, so kannte man sich doch,“ schrieb Boveri, die selbst Tochter des Biologieprofessors Theodor Boveri war. In den einzeln stehenden Familienvillen in Richtung des Bahnhofs lebten dagegen Großhändler und Kommerzialräte eher abgeschieden hinter aufwendigem Dekor.

In der Mitte der Straße steht mit der Nummer 13 noch heute beeindruckend die ehemalige Villa des Baustoff-Großunternehmers Fritz Lang, welches im Jahr 1918 von der jüdischen Familie Sichel abgekauft wurde, eines Tuchgroßhandelsunternehmens mit Filialen in Frankfurt, Aschaffenburg und Köln. Das 1891 fertig gestellte Backstein-Gebäude mit Sandsteinelementen zeugt vom Wohlstand der Familien und gibt mit seinen Ziergiebeln, Pilastern und Erkern einen lebendigen Eindruck der Gestaltungselemente der Neorenaissance, die durch Dachterrasse und Turm ergänzt sind. Das große Grundstück nebenan auf der anderen Seite der Schönleinstraße war im Besitz der einflussreichen Würzburger Tabakfabrikanten-Familie Schürer. Während in der Nummer 14 und 15 nach Grundstücksverkäufen an städtische Honoratioren vierstöckige neubarocke Bürgerhäuser mit Etagenwohnungen entstanden, ließ sich Franz Schürer 1893/94 in der Nummer 16 eine großzügige Stadtvilla ganz im Charme des Eklektizismus erbauen: Das zweistöckige Haus mit großen Naturstein-gerahmten Fenstern zeigt zur Straße hin einen massiven in Säulen gefassten Erker mit Balkon, der auch mehr als 100 Jahre später noch zu bewundern ist (rechts im Bild). Der westliche Eckturm, damals mit einem barocken Dach überwölbt, trägt heute ein einfaches Zeltdach und auch die ursprünglich in der Art des Jugendstils erbaute Dachkonstruktion wurde entfernt.

Am Ende der Straße kam 1908 in der Nummer 22 das Geschäftshaus der Portland-Zementfabrik direkt neben dem Bahnpostamt dazu. „Ein überaus stattliches Gebäude von über 500 Quadratmeter bebauter Fläche erhebt sich hier in vier Geschossen und gibt Zeugnis von der Verwertungsmöglichkeit der Zementprodukte und von dem Fleiße und dem Streben deutscher Industrie,“ so Thomas Memminger 1921 in seinem Buch „Würzburgs Straßen und Bauten“.

Spätestens im Jahr 1945 war der Glanz der Bismarckstraße für immer verloren. Die Bomben zerstörten einen beträchtlichen Teil der Würzburger Gründerzeit-Bauten, deren Schönheit die heutige Nachkriegsbebauung leider nicht mehr erahnen lässt. Der Terror der Nationalsozialisten hatte die Straße und die in ihr lebenden Menschen jedoch schon einige Zeit vorher mit aller Wucht getroffen. Teile der jüdischen Oberschicht schafften vor 1942 die Flucht ins Ausland, viele andere starben in der Pogromnacht und in den Konzentrationslagern von Theresienstadt und Ausschwitz. Die Stolpersteine auf dem Gehweg vor den Häusern berichten traurig davon.

Heute wird die Bismarckstraße vom durchströmenden Verkehr in Richtung des Busbahnhofs geprägt. Von der herrschaftlichen Stimmung zu Beginn des 20. Jahrhunderts ist nichts mehr zu spüren, auch wenn mittlerweile fast alle Häuser aus der Gründerzeit unter Denkmalschutz stehen. Links und rechts der Straße parken Autos und Busse, während auf dem Gehweg Menschen in beide Richtungen eilen. Rund um die Rotkreuzstraße beheimatet die Bismarckstraße Miets- und Eigentumswohnungen, in Richtung Bahnhof folgt das große Verwaltungsgebäude eines Energiekonzerns, eine Kanzlei sowie ein Ärztehaus, das sich in der ehemaligen Schürer-Villa eingerichtet hat. Im hinteren, eher tristen Abschnitt um die Posthalle wird die Bismarckstraße bis zum Jahr 2025 im Zuge der Planungen um das sog. „Bismarckquartier“ ein neues Gesicht erhalten.

 

 

 

Der vergessene Dichter

Jena, Erlangen, Bamberg, Nürnberg, Heidelberg, Tübingen… sie alle hatten ihre romantischen Dichter. Doch was ist mit Würzburg? Auf der Suche nach einem Literaten dieser Epoche bin ich auf August Graf von Platen-Hallermünde gestoßen, der von April 1818 bis Oktober 1819 in Würzburg wohnte. Nun, als klassischer Romantiker  zählt von Platen nicht, auch wenn sein „Tristan“-Gedicht durchaus romantisch anmutet. ich zitiere hier kurz den Anfang:

„Nur wer die Schönheit angeschaut mit Augen,
Ist dem Tode schon anheim gegeben,
Wird für keinen Dienst der Erde taugen,
Und doch wird er vor dem Tode beben…“

Der 22-Jährige von Platen widmete sich in Würzburg dem Studium der Rechte. Er verliebte sich unglücklich in einen Kommilitonen, der zwar von Platens Freundschaft erwiderte, sich aber nach der Offenbarung dessen homosexueller Neigungen schroff von ihm abwandte. Von Platens Tagebucheinträge geben Aufschluss über seine innere Zerissenheit, zeigen aber auch, welchen Eindruck er von Würzburg und der Umgebung hatte. Im April 1818 schrieb er dort:

„In der Stadt finde ich mich nun ziemlich herum. Sie hat viel enge Straßen und häßliche Häuser, doch auch wieder große und schöne Gebäude, sehr viele bedeutende Kirchen und Brunnen.“

Etliche Tage später notierte er: „Vor einigen Tagen fuhr ich mit Gruber nach Zell hinunter auf dem Main. Es ist ein gewöhnlicher Spazierort der Würzburger. Die Gegend und Mainufer gefielen mir durchaus nicht. Man sieht nichts als Weinberge; kein grüner Hügel, kein schattiger Baum, keine Aussicht aus dem engen kahlen Thale. Der Main hat eine schmutzige Farbe. […] Die hiesigen Gesellschaften sollen sehr langweilig seyn. Wie könnte ich es verantworten, wenn ich in ihnen meine Zeit verschleppte?“

Kein Wunder, dass die Würzburger August von Platen eher stiefmütterlich behandeln. An seinem ehemaligen Wohnhaus am Sternplatz findet sich eine unauffällige Gedenktafel:

Darüber hinaus wird dem Dichter seit den 1930er Jahren eine Straße in der Sanderau gewidmet; nur wurde ihm das „von“ geklaut. Die „Platenstraße“ ist an sich recht unscheinbar, hat aber in ihrer Hausnummer 1 einen besonderen Getränkemarkt beheimatet, der ein bisschen Berliner-Kiez-Flair in den verschlafenen Stadtteil bringt. Denn dort kann man nicht nur das Feierabend-Bier kaufen, sondern selbiges auch in guter Gesellschaft an einem aufgestapelten Bierkasten-Tisch trinken und die Weltlage besprechen.

 

 

 

Luther in Würzburg

Auch das katholische Würzburg hatte eine Luther-Begegnung. Angesichts der für dieses Jahr anberaumten „Luther 2017 – 500 Jahre Reformation“-Feiern ein nicht ganz uninteressanter Umstand. Für mich allerdings eine Zufallsentdeckung in Thomas Memmingers „Würzburgs Straßen und Bauten“-Buch, als ich dort über die Augustinerstraße las. (Selbst die nach dem 2. Weltkrieg im Frauenland gegründete Martin-Luther-Kirche scheint sich eher weniger dafür zu interessieren.)

Witziger Weise fand ich heute in der Bibliothek in einem Buch aus dem Jahr 1895 die folgenden einleitenden Worte: „Jedes Schulkind weiss, daß der Reformator Dr. Martin Luther sich vorübergehend in der Metropole des Frankenlandes aufgehalten hat.“ Da musste ich doch ein bisschen schmunzeln, vor allem wegen der „Metropole“. Dr. Johannes Baier, der ein guter Kenner von Luthers Leben und Schriften gewesen sein muss,  hat sich in diesem kleinen Buch, das den Titel „Dr. Martin Luthers Aufenthalt in Würzburg“ trägt, näher mit Luthers Besuch in der Stadt befasst. Demnach kam Luther auf seiner Reise von Erfurt nach Heidelberg im April per Pedes und im Mai 1518 auf dem Rückweg per Kutsche in Würzburg vorbei und verbrachte einige Tage im hiesigen Augustinerkloster, ehemals im Carré Augustiner-/Wirsberg-/Büttnerstraße/Gotengasse gelegen. Bei seinem ersten Besuch im spätmittelalterlichen Würzburg traf sich Luther auch mit Fürstbischof Lorenz von Bibra, der Luther wohlgesonnen gewesen sein muss. Weshalb Herr Baier in dem Buch auch die Frage erörtert, ob Würzburg, bei einer längeren Lebenszeit des Fürstbischofs wohl hätte protestantisch werden können. 😀  Auch mit Tilman Riemenschneider könnte sich Luther getroffen haben, so Baier, der berichtet, dass manche Würzburger munkelten, jener sei so beeindruckt von diesem gewesen, dass er das Gesicht der Andreas-Figur an der Marienkapelle Luther nachempfunden hätte (was Baier aber für ausgeschlossen hält).

Spuren von Luthers Besuch in Würzburg gibt es dieser Tage nicht, da das Gebäude der Polizeiinspektion Würzburg-Stadt zur Zeit umgebaut wird. Das Würzburg-Wiki verrät aber, dass sich an der Augustinerstraße 24-26 ein Gedenkstein fand, der nach den Umbaumaßnahmen ja vielleicht erneut an dieser Stelle plaziert wird. Ich werd‘ mal die Augen offen halten.

 

 

(d) ein Rathaus

Das Würzburger Rathaus ist ganz ohne Zweifel eine Besonderheit der Stadt. Nicht nur weil der Grafeneckart als Gebäude zurückgeht bis in die romanische Zeit, sondern auch weil der Häuserkomplex heute zwei sehr unterschiedliche Gesichter zeigt. Ich hörte bereits davon, dass sich Leute „vor dem Rathaus“ verabredet und doch niemals getroffen haben, weil einer hinter und einer vor dem Rathaus gewartet hat. Den tatsächlichen Eingang zum Rathaus schmückt ein bemerkenswerter Spruch:

rathauseingang-2

„Gott lass uns das Rechte kennen, das wir Schlechtes nicht verfechten . A.D. MCML . Unsere Herzen sehnlich brennen nach dem Echten nach dem Rechten.“

1950  – im Rückblick auf eine 12 Jahre dauernde NS-Herrschaft aus diesem Hause und eine anfänglich turbulente Nachkriegszeit ein durchaus nachvollziehbarer Wunsch.

 

Der Würzburger Stadtrat tagt seit Anfang des 14. Jahrhunderts im Grafeneckart, dessen Geschichte Wolfgang Jung zum 700-jährigen Jubiläum in einem beeindruckenden Artikel beschrieben hat. Zusätzlich zum Grafeneckart, der im 12. Jahrhundert einem gewissen Ekkehardus gehörte, wurden im Jahr 1316 auch Nachbargebäude dazu gekauft, darunter Haus und Hof eines aus Rothenburg stammenden Juden namens Samuel Biscoph, der diesen Besitz im Jahr 1180 erworben hatte (wie eine Urkunde in der Monumenta Boica erzählt). Ob Samuels Haus bei den 1294 leider auch in Würzburg stattfindenen „Rintfleisch-Pogromen“ seine jüdischen Bewohner verlor oder schon früher den Besitzer wechselte, ist ungewiss. Bemerkenswert ist allerdings, dass auch hier deutlich wird, wie unzertrennlich jüdisches Leben mit Würzburg und seiner Geschichte verbunden ist.

 

Hallo Würzburg!

Wir haben uns vor mehr als 20 Jahren auf einer Klassenfahrt kennengelernt. Damals war es nur ein Kurzbesuch, ein Tag in der Altstadt und in der Unibibliothek (bis heute einer meiner Lieblingsorte, doch damals noch mit Microfich und ganz ohne Citavi). In den folgenden Jahren hab ich Dich in ähnlicher Weise immer wieder mal kürzer, mal länger besucht. Häufig kam ich von Heidelberg, viele Male auch aus Stuttgart und gelegentlich aus Berlin, um hier Freunde zu treffen. Und einmal fuhr ich mit einem kleinen Autobus voll mit netten Leuten direkt aus Deinen Toren nach Prag und wieder zurück (was witzig ist, weil man Dich ja gelegentlich mit Prag vergleicht – nachvollziehbar, wie ich finde).

Seit etlichen Jahren lebe ich nun in Deinen Grenzen und hab Dich sogar ein bisschen in mein Herz geschlossen. Ich kenne viele Deiner Häuser, Bauwerke und Plätze und werde doch, je länger ich hier lebe, desto neugieriger auf Dich.

Dieses Blog soll mich auf einer kleine Entdeckungsreise durch Deine Straßen und verwinkelten Gassen begleiten. Ich bin sehr gespannt, was ich in und an Dir noch finde.